MEMI-Interview: Peter Gorges



Peter GorgesPeter Gorges, Jahrgang 1964, ist anerkannter Spezialist in Sachen Synthesizer, Sampler und Soundprogramming. Von vielen als "Sound-Guru" und Kult-Tester des Fachmagazins KEYBOARDS verehrt, kann er seiner Leidenschaft nun in seiner eigenen Firma Wizoo frönen, wo man sich auf Sampling CD-ROMs und Praxisbücher über elektronisches Klangschaffen spezialisiert hat. Seinen Background, sein derzeitiges Schaffen und seine weiteren Pläne verrät Peter im MEMI-Interview...



MEMI: Wer oder was hat Dich dazu gebracht, Dich mit elektronischer Musik bzw. Musikelektronik zu beschäftigen?

Peter Gorges: Mein erstes Musikinstrument, eine Bontempi Gebläseorgel - auf der habe ich mir das "Keyboard"-Spielen selbst beigebracht und bin dann die Skala ekliger Musikmöbel langsam hinaufgestiegen. Als ich 11 war, hat mein Vater mich in die Westfalenhalle geschleppt, wo es eine minimale Synthesizer-Ausstellung gab. Ein Aussteller war Korg, und die hatten damals Poster vom MS-20 und den riesigen PS-Kisten. Da war's um mich geschehen.

MEMI: Was reizt Dich daran?

Peter Gorges: Daß ich das Zeug im Schlaf beherrsche und es nach 20 Jahren noch Spaß macht.

MEMI: Hast Du da irgendwelche Vorbilder?

Peter Gorges: Ja:

  • Manfred Mann - eigentlich ein dicker Popsänger für Muttis, der (wahrscheinlich wegen dieses Images) später als Synthesizer- und Soundmann aber absolut verkannt wurde,
  • Reinhold Heil, der nicht nur bei Spliff und Cosa Rosa brillant war, sondern auch ein erstklassiger Synthesizerkenner ist,
  • Trevor Horn - eher schon ein Produzentenvorbild, der aber auch soundmäßig exakt meinen Nerv trifft - bei Seal bis heute.
  • Propaganda - Eintagsfliege, aber sowas von unglaublichen Synthesizersounds...

MEMI: Gilt diese Vorbildfunktion auch noch für deren heutiges Schaffen?

Peter Gorges: Tja, Manfred Mann ist heute sein eigenes Abziehbild und Reinhold ist nicht mehr öffentlich tätig. Lediglich Trevor Horn hat mit Seal immer noch ein Eisen im Feuer, und sein Assistent Steven Lipson hat beispielsweise mit Annie Lennox gezeigt, wie man erstklassige Popmusik elektronisch produzieren kann.
Equipment-mäßig - das darf man übrigens nicht verkennen - war damals mein heutiger Partner Gerald Dellmann immer mein großes Vorbild. Er hat meinen Geschmack für Synthesizer - zuerst im Fachblatt und dann in KEYBOARDS - erstklassig getroffen und auch mitgeprägt.

MEMI: Hattest Du eine spezielle Ausbildung in Sachen elektronischer Musik? Vielleicht Instrumentenunterricht? Musikstudium? Informatikstudium? Toningenieurausbildung?

Peter Gorges: Nein - klingt merkwürdig, aber das, was ich mache, konnte mir an Unis keiner beibringen, und das kann bis heute niemand irgendwo irgendjemandem beibringen. Ich habe mir zeitweise gewünscht, eine musikalische Ausbildung zu haben. Andererseits habe ich besonders im Studio davon profitiert, daß ich anstelle von Noten lesen eben aus einem Gitarrendemo eine komplette Produktion machen konnte.

MEMI: Du hast schon als Produzent, Arrangeur und Komponist gearbeitet. In welche musikalische Richtung gingen die Jobs?

Peter Gorges: Ich habe zehn Jahre als Studiokeyboarder, Komponist und Arrangeur gearbeitet, aber eigentlich eher "für Geld" bzw. "Brot und Butter". Da habe ich mir eher professionelle Praxis als musikalische Weiterentwicklung geholt. Die musikalische Richtung war Pop, Schlager, ab und zu auch mal Rock. Man mag es nicht glauben, aber besonders das üble Schlagerzeug hat mir am meisten beigebracht - da habe ich was darüber gelernt, wie man ein gutes Ergebnis abliefert, wenn man "geschmacklich distanziert" ist. Außerdem habe ich es quasi bezahlt bekommen, mir alles draufzuschaffen, was ich heute brauche: Professionelle Erfahrung, Sequencing, Arrangieren, in andere hineindenken und vieles mehr. Das hätte kein Studium mir verschaffen können.

MEMI: Warst Du auch schon einmal als Remixer tätig?

Peter Gorges: Nein - nicht meine Abteilung. Lediglich in meiner aktiven Techno-Phase um 1990 herum habe ich in einem Dreierteam Remixe von Sachen wie "I am what I am" oder "Love is in the Air" gemacht, das waren Auftragsproduktionen, aber dafür war ich als Nicht-DJ eigentlich nicht der richtige. Trotzdem: Gloria Gaynor von einer Kopie des Originalbandes mal solo abzuhören war schon ein Erlebnis ;)

MEMI: Was hältst Du i.a. vom Remixen? Ist das für Dich eine eigene Kunstform, bei der man seine Kreativität ausleben kann oder eher ein "Job zum Geldverdienen"?

Peter Gorges: Es gibt Menschen, bei denen es beides ist. Wenn das Aneinanderreihen von ein paar gesangsbegleiteten Gitarrenakkorden am Lagerfeuer (Komponieren) eine eigene Kunstform ist, dann wüßte ich nicht, warum ich dem Remixen diesen Status verwehren sollte.

MEMI: Was würdest Du gerne mal remixen?

Peter Gorges: Alle "Propaganda"-Scheiben.

MEMI: Und was würdest Du gerne mal covern?

Peter Gorges: Alle "Propaganda"-Scheiben.

MEMI: Gehst Du in Discos, um am Puls der Zeit zu sein?

Peter Gorges: Nein - das habe ich mal genau aus diesem Grund gemacht, und es gibt kaum was Langweiligeres. Ich habe das Glück, daß in puncto Puls der Zeit der Musikgeschmack dem Soundgeschmack meist hinterherhinkt. Und da ich die meisten Synthesizer sehr früh in die Hände bekomme, habe ich eine wunderbare Ausgangsposition. Musikalisch verfolge ich alles nebenher, aber da kenne ich Leute aus meinem Umkreis, die sind gegen mich ein wandelndes Musiklexikon - mein "aktiv unmusikalischer" Bruder etwa.

MEMI: Was ist WIZOO? Beschreibe doch mal Deine Tätigkeit dort.

Peter Gorges: Meine Tätigkeit heißt amtlich gesehen Geschäftsführer. Praktisch bin ich mit der Idee, endlich all das, womit ich seit Jahren anderen Leuten Umsätze beschere, auf eigene Faust zu machen, zu Gerald Dellmann (GF von Musik Media, Verlag von KEYBOARDS) gerannt. Musik Media hat im Gegensatz zu mir die Infrastruktur und die finanziellen Mittel, um so etwas sehr schnell und sehr effektiv aufzuziehen. Immerhin finanziert man eine solche Unternehmung in einem Jahr nicht mal eben privat vor und baut nebenher auch noch Versand und Vertrieb auf. Ich MACHE quasi Wizoo, Gerald vermarktet es im Hintergrund.

MEMI: Warum ein rein virtueller Rundumschlag für den Elektronikmusiker? Rechnest Du mit einem Internet-Boom unter den Musikern? Oder ist er schon da?

Peter Gorges: Wizoo ist alles andere als ein rein virtueller Rundumschlag. Die Website ist nur im Gegensatz zu bisherigen Konzepten der Mittelpunkt, denn dort können uns alle ständig "sehen" und erreichen. Es gibt aber für alles auch eine physikalische Entsprechung in Form von Versand, Lager, Vertrieben, festen freien Mitarbeitern, angeschlossenen Studios und vielem mehr. Auch haben wir ja die internationale Ausrichtung - Deutsch und Englisch. Wie soll ich mit unseren begrenzten Kapazitäten weltweit User erreichen, wenn nicht mit einer Website? Mit Katalogen und Anzeigen ist das schwer zu machen. Mit der Website erreiche ich jeden, der in einer Höhle in Peru "MIDI" in die Suchmaschine tippt. Für eine Firma aus Deutschland, auf die in Peru niemand wartet, ein wichtiger Aspekt für den Start. Die Website unterstreicht aber vor allem eines: Wir sind keine in sich geschlossene Klitsche in irgendeinem Winkel Deutschlands, sondern wir bündeln Leute aus allen möglichen Ländern - nicht abhängig davon, wo sie wohnen, sondern davon, wie gut sie sind, natürlich mit Schwerpunkt in Deutschland, denn der Erfahrung nach sitzen hier viele der besten Leute - in den USA sind es entgegen der gängigen Klischees weit weniger - in unserer Branche. Ohne das Internet hätte ich Wizoo in der bestehenden Form gar nicht aufziehen können, denn auch hinter den Kulissen läuft alles übers Netz ab. Beispielsweise ist die Symbiose von mir und Dave Bellingham, der in Sydney sitzt, prägend für unser ganzes Auftreten. Durch die Website werden Leute auf uns aufmerksam, die man aktiv nie erreichen könnte - wie wir gerade auf der NAMM-Show oder Frankfurter Musikmesse gesehen haben.

MEMI: Würdest Du Dich in Deiner Funktion als Soundprogrammierer als Künstler bezeichnen oder hältst Du es eher für ein Handwerk, das einen regulären Acht-Stunden-Tag möglich macht?

Peter Gorges: Beides nicht. Sounds programmieren ist mein Hobby. Als Keyboarder hätte ich es sehr schwer, in der Bundesliga zu spielen, als Soundprogrammierer fällt es mir sehr leicht. Eine Kunst ist das im Sinne von "Können" schon, denn man muß dazu irgend eine kranke Begabung haben, sonst kriegt man den Bogen nie raus. Einen Stellenwert als Kunst - im Sinne von Musik - hat das Soundprogrammieren nicht - das Problem ist auch hier: Das Gute wissen nur die zu schätzen, die ähnlich gut sind.

MEMI: Was macht für Dich einen guten Sound aus?

Peter Gorges: Das kann man nicht verallgemeinern. Sicher gibt es Attribute wie "knackig", "druckvoll", "lebendig" und auf der anderen Seite "matschig", "schlapp", "langweilig". Allein die sind so dermaßen im kriterienfreien Raum und werden dann auch noch von drei Leuten im selben Raum unterschiedlich beurteilt. Ich habe einen sehr europäischen Geschmack - den man am besten mit meinen Lieblings-Synthesizern untermauern kann - und der ist glücklicherweise weltweit sehr angesagt - europäische Soundprogrammer sind bei Herstellern sehr gefragt, auch wenn viele User immer noch glauben, "US" wäre gleichbedeutend mit "UltraSpitze" :)
Ich gehöre aber nicht zu den Leuten mit der Ansicht, daß es keine guten und schlechten Sounds gibt und daß alles Geschmackssache wäre. Die Nummer mit dem Geschmack wird einfach immer mißbraucht, wenn man etwas nicht zweifelsfrei als gut bezeichnen kann. Denn es gibt genügend Sounds, die von jedem als gut bewertet werden - unabhängig vom Geschmack - und es gibt genügend Sounds, die schon technisch so dermaßen im Off sind, daß man sie mit der Geschmacksfrage schon schönreden muß. Man muß aber differenzieren zwischen Sounds, die für sich allein gut klingen und solche, die in einem bestimmten Song funktionieren sollen - das sind zwei völlig verschiedene Sachen.

MEMI: Fällt Dir zu Deinen Sounds immer gleich eine mögliche Anwendung ein? Versuchst Du so etwas auch immer gleich in Musik umzusetzen? Oder hast Du die musikalische Idee gar zuerst?

Peter Gorges: Wenn ich einen neuen Synthesizer bekomme mit dem Auftrag, dafür ein Factory-Set zu machen, habe ich zwei Sachen im Kopf: "Was kann das Gerät, was andere nicht können?" und "Was davon möchten User auch wirklich haben?". DAS ist wichtig. Wenn ich freizeitmäßig vor mich hinschraube, entstehen die meisten Ideen durch einen Sound. Nicht, daß die dann alle besonders toll wären ;)

MEMI: Schauen für Dich beim Sounddesign auch immer gleich konkrete Ideen für eigene Musik heraus, die Du dann in Stücke umsetzt?

Peter Gorges: Da ich in den letzten Jahren meiner Studiozeit oft angeheuert wurde, um spezielle Synthesizer-Sahnehäubchen auf eigentlich fertige Produktionen zu setzen, war es sogar eher umgekehrt: Ich mußte ja auf eine konkrete musikalische Vorgabe den richtigen Sound finden. Das kann ich, weil ich es stärker kultiviert habe, inzwischen weit besser. Ein Grund übrigens, warum ich nie mit Editorsoftware arbeite, sondern nur an den Geräten selbst - nur so konnte ich früher Sounds in Echtzeit basteln, ohne mit einem komplizierten System anzureisen. Inzwischen ist das einfach Gewohnheit.

MEMI: Machst Du auch selbst elektronische Musik? Gibt es Veröffentlichungen? Wird es weitere geben?

Peter Gorges: Ich habe mich 1990 gezwungen, mich für eine von zwei Schienen - entweder weltberühmter Produzent oder in meiner eigenen kleinen Welt berühmter Soundprogrammer und Synthesizerspezialist zu werden - zu entscheiden. Wie gesagt - in der ersten Disziplin war ich nicht so gut, wie es nötig gewesen wäre. Deshalb gibt es von mir keine wirklichen CDs. Es gibt ein paar alte Techno-Platten, es gibt zwei Versuche, einen sehr guten deutschen Sänger berühmt zu machen, und es gibt eine CD, die ich mit Wolfgang Düren von Waldorf durchgezogen habe, und die ich heute noch gerne höre. Vier Titel - nur Waldorf-Synths - war ein tolles Projekt.
Momentan bin ich froh, daß ich am Leben bin. Wizoo ist eigentlich exakt das, was ich gerne mache. Wenn die Startphase hinter uns ist - ich schätze, das wird in einem Jahr sein - dann werde ich wieder mehr Sounds und Samples machen und Bücher schreiben. Wie gesagt: Sounds sind mein Ding, Musik weniger!

MEMI: Was inspiriert Dich zu Deinen Sounds?

Peter Gorges: Der Synthesizer - nichts anderes. Wenn die Kiste tot ist, kann ich zwar den Profi machen und was rausholen. An einem Wave, JD-800 oder DX7 aber kann ich stundenlang sitzen und die Umwelt Umwelt sein lassen - bei anderen Synthesizern ist das echte Arbeit.

MEMI: Wie wird man KEYBOARDS-Autor? ;-)

Peter Gorges: Indem man vorher zwei Jahre bei der Konkurrenz schreibt, dann ein DX7-Buch verfaßt, das vom KEYBOARDS-Chefredakteur eine gute Rezension bekommt :)
Früher war es sicher schwieriger, da war die KEYBOARDS-Redaktion schon ein geschlossener, auch elitärer Haufen mit ein paar Galionsfiguren anstatt einem größeren Pool an Mitarbeitern. Ich denke, durch das Internet, das KB-Forum und die dadurch bedingte Öffnung nach außen stößt man leichter auf gute Leute - Björn Bojahr ist ja z.B. schon ein Beweis dafür.

MEMI: Mancher könnte die Tätigkeit als Tester, Autor und Programmierer als "spaßig" bezeichnen. Ist es für Dich (immer noch) Spaß, das "Hobby als Beruf", oder siehst Du es als harten Broterwerb, der einem manchmal auf die Nerven geht, wie anderen ihre Jobs auch?

Peter Gorges: Es ist immer noch spaßig - wenn es nur meine Tätigkeit als Tester, Autor oder Programmierer wäre. Testberichte machen mir Spaß, weil ich bei KEYBOARDS den Rücken frei habe und meine Art pflegen darf. Ich gehe nicht die Frontplatte von links oben nach rechts unten durch und gähne mich durch die Menüs. Sonst hätte ich nach zehn Jahren echte Abnutzung. Aber ich muß zugeben, daß ich genau hinsehe, was ich testen will, weil ich nach über 200 Tests einfach meine Milch gegeben habe und mich nicht jeder neue Synthesizer hinter dem Ofen hervorlockt. Testberichte von Sachen, die einfach irgendwie erwähnt werden müssen, ist dröger Broterwerb - das sollte man sein und neuen Leuten über-lassen.
Nervig allerdings ist die zunehmende Empfindlichkeit von Produktmanagern und der dadurch entstehende Druck, dem man standhalten muß. Vor fünf Jahren haben die schlaueren unter den Produktmanagern einen Testbericht an den Hersteller gefaxt mit der Bitte um Behebung der bemängelten Punkte. So hat ein Test indirekt auch dazu beigetragen, ein Gerät zu verbessern. Heute wird gleich eine ganze Jahresbuchung an Anzeigen storniert, wenn das Gerät unter 90% im Levelmeter wegkommt. Sicher beeinflußt das keinen Test - zum Leidwesen derjenigen, die mir den Rücken freihalten müssen - nur erhöht es den Nerv-Aufwand. Die Spitze der Peinlichkeit war bisher ein Yamaha-"Interview" auf meinen FS1R-Test in KEYBOARDS, in dem ein Produktspezialist mit lauter unbestätigten und bisher nicht eingehaltenen Aussagen meinen Test relativiert hat. Da fragt man sich schon, ob man sich das bieten lassen muß.

MEMI: Was werden Deine nächsten Projekte sein (bei Wizoo, als freier Autor/Programmierer oder musikalisch)?

Peter Gorges: Bei Wizoo baue ich die Buchpalette weiter aus, suche neue Autoren, denke mir neue Titel aus und habe meinen Spaß. Nebenher machen wir unsere Pretiosen-CD-ROMs, um auch dem Sounddesign-Wahn Tribut zu zollen. Für die Zukunft ist ein Wizoo-Synthesizer geplant, aber das wird noch ein bißchen dauern.
Musikalisch plane ich eine CD mit elektronischen Mini-Titeln rauszubringen, die ich vor ein paar Jahren gemacht habe. Die habe ich in ein paar Stunden eingespielt, gemischt und aufgenommen und dann alles bis auf das Master gelöscht - als "Anti-Verrenn-Methode" sozusagen. Außerdem sind drei Remixes von einem elektronischen Titel mit super-hi-tech aufgenommenem Saxophon (Charlie Mariano) dabei.

MEMI: Du hast auch schon bei Herstellern an Gerätekonzepten mitgearbeitet. Wo war das und wie kam es zu diesen Kontakten?

Kawai MP-9000Peter Gorges: Das fing bei Wersis Synthesizer MK1 an - wie mein Partner Gerald Dellmann sagt, also "von der Pike auf" - und hört bei Kawai K5000 und Nord Modular auf. Manchmal "darf ich auch richtig": Das Kawai MP-9000 zum Beispiel entstand aus meinem Konzept für Kawai, ein echtes "Vintage Piano" im Look and Feel eines Rhodes zu machen - die Amis haben es ein bißchen mit Display und Schiebern und die Japaner mit klobigem Gehäuse verunstaltet, aber es gefällt mir trotzdem noch und verkauft sich gut.
Durch Testberichte nimmt man indirekt ebenfalls teil an Produktentwicklungen, und die Kontakte kommen entweder durch Kollegen zustande, die mich für eine spezielle Aufgabe ins Team nehmen, oder durch Hersteller, die sich sagen: "Bevor der das Teil im Test verreißt, hören wir uns mal an, wie er es denn haben will".
Mit Wizoo beraten wir nach wie vor Hersteller bei neuen Geräten und machen im Hintergrund Sampling- und Soundlibraries für die - unsere CD-ROMs sind im Grunde Abfallprodukte solcher Teuersessions.

MEMI: Wie muß die optimale Bank an Werkssounds aussehen, damit User und Instrumenten-Hersteller gleichermaßen zufrieden sind? Bist Du es dann auch selbst?

Peter Gorges: Damit der Instrumenten-Hersteller zufrieden ist, muß die Soundbank im Laden den Erstantester zum Kauf überreden. Damit der User zufrieden ist, müssen die Sounds spektakulär sein und ihm das Gefühl geben, daß er die mit seinem bestehenden Park nicht hinbekommt. Wenn ich das schaffe, bin ich zufrieden. Das darf man aber nicht damit verwechseln, daß ich diese Sounds allesamt selbst einsetzen würde. Am zufriedensten war ich bisher mit meinen Werkssounds für den K5000, die mit dem OS3 die Verkäufe sprunghaft haben ansteigen lassen und auf die ich gleichzeitig ziemlich stolz war.

MEMI: Mit welchen Sampling-Systemen werden eigentlich die Werkssamples verschiedener Hersteller, die womöglich gar keine eigenen oder veraltete Sampler herstell(t)en, erstellt? Benutzt Roland womöglich Akai-Sampler?

Peter Gorges: In den letzten Jahren haben alle Hersteller mit Akai-Samplern gearbeitet, und für viele ist das auch noch die Basis. In letzter Zeit setzen sich für das Recording und Optimieren der Samples HD-Systeme durch - ganz klar: Bessere Wandler, großer Bildschirm, PlugIns, SCSI-Schnittstelle zum Sampler und vieles mehr. Das "Sampeln" von Instrumenten ist ja zunächst einmal nichts als eine endlose Aufnahme-Session "auf Band".

MEMI: Was macht für Dich einen guten Synthesizer aus und was einen schlechten?

Peter Gorges: Ich bin sehr soundfixiert, wenn ich Synthesizer bewerte. Die Qualität der Tastatur, die Funktionsvielfalt oder die Anzahl der Ausgänge ist mir vollkommen egal, wenn ein Synthesizer toll klingt. Machen wir es anders herum. Beispiele für Synthesizer, die ich wirklich toll finde, sind unten aufgeführt. Eine Abneigung habe ich gegen Synthesizer mit miesem Sound, matschigen Hüllkurven und idiotenoptimierter Bedienung mit entsprechenden Minimal-Möglichkeiten.

MEMI: Was ist bis jetzt Deine All-Time Top 5 der elektronischen Musikinstrumente?

Peter Gorges: Auf fünf reduziert:

  • Yamaha DX7 - der beste Synthesizer aus vielen Gründen.
  • Waldorf Wave - ein sehr spezieller und mackenbehafteter Synthesizer, aber einfach ein unglaubliches Monster, das heilige Sounds macht und traumhaft flexibel ist.
  • Multimoog - der verkannteste Moog - bietet mit Aftertouch und unglaublichem Sync viel mehr Funktionen als der Minimoog und klingt für meinen Geschmack weit besser.
  • JD-800 - Der beste PCM-Synthesizer trotz vieler Mängel - erstklassige Samples, tolle Filter, tolle Effekte, "fühlt sich genial an".
  • Modular - Mein Fischertechnik-Baukasten für's Erwachsenendasein - es gibt keinen Synthesizer, mit dem man mehr anfangen kann.

MEMI: Was stört Dich am meisten an der derzeitigen Synthesizer-Landschaft?

Peter Gorges: Vieles, aber das ist noch nichts gegen das, was mich vor fünf Jahren an der Synthesizerlandschaft gestört hat, als lange Zeit überhaupt nichts ging und jedes neue Modell wieder ein PCM-Synthesizer mit eben mehr Effekten war. Das Roland-JV-Syndrom hat lange Zeit alles blockiert.

MEMI: Was stört Dich am meisten an der derzeitigen User-Landschaft?

Peter Gorges: Die Gesellschaftsfähigkeit der uninformierten Meinung und die unglaublich niedrigen Ansprüche. Ersteres laste ich dem Internet und zweiteres der Invasion der Soundblaster-User in die Musikwelt an, die den Instrumentenmarkt von unten aufmischen. Erwartungen werden von 90% der User nicht mehr an bessere Qualität und neue Features gestellt, sondern an den Preis - es ist teilweise wie auf dem Fischmarkt.
Es ist auf der einen Seite eine tolle Sache, daß durch Techno viele Leute mit Synthesizern arbeiten, die vorher nicht mal ein Musikinstrument gespielt haben, oder daß viele vom PC zur Musik kommen. Der Nachteil daran ist aber, daß dadurch die Ansprüche an die Hersteller deutlich gesunken sind. Ein Beispiel: Ich halte es für eine Marketingleistung, daß Yamaha einer nicht kleinen Menge von Leuten ein krankes Personal-Keyboard als Ravers Babe verkaufen konnte, oder daß sie einen wirklich schlechten Synthesizer wie den CS1x sogar fast so oft verkauft haben wie den DX7. Für jemanden wie mich ist das einleuchtend und akzeptabel, aber deshalb trotzdem nicht begrüßenswert.
Beide Entwicklungen, Internet und PC-Musik, haben aber so viele gute Seiten, daß ich mich unterm Strich nicht beklagen möchte.

MEMI: Bist Du Nostalgiker oder ersetzen die Virtuell-Analogen für Dich die Originale ausreichend?

Peter Gorges: Nicht nur das - sie geben einem weit mehr. Das bißchen Soundcharakter, was Analoge von Virtuellen unterscheidet, interessiert mich nicht. Ein Virus klingt analoger als ein Memorymoog, ein Nord Lead knackiger als ein OB-Xa, also was soll`s. Wichtiger hingegen ist mir: Echtzeitkontrolle der Sounds - denn das Patch ist immer nur der Anfang - und MIDI-Funktionen.

MEMI: Worin liegt für Dich die Zukunft der (kreativen) Musikelektronik? Im Aufwärmen alter Konzepte?

Peter Gorges: Hätte man mich vor zehn Jahren gefragt, hätte ich mit Sicherheit nicht "in einer Renaissance der analogen Synthesizer" geantwortet, die wir heute haben. Über die Jahre, in denen ich das verfolge, liegt es vor allem in einem Wechselspiel analog, digital, akustisch, elektronisch. Die Welle schwappt mal ein paar Jahre hier hoch, dann da. Bei jedem Hochschwappen einer Richtung haben sich die technischen Möglichkeiten aber extrem geändert - so sind analoge Synthesizer von heute ja in Echtzeit steuer- und programmierbar, und sie werden statt von Hand oft mit dem (Step-) Sequenzer "gespielt", und dadurch entsteht wieder etwas Neues. In drei Jahren ist es vielleicht wieder FM, wobei man dann vielleicht schon Resynthese möglich gemacht hat. Wichtig ist, daß der Innovationstrieb nicht nachgelassen hat, denn wir befinden uns ja in einem Spielkinder-Business. Ob die Innovation jetzt in völlig neuen Klangkonzepten oder einer neuen Sicht auf die alten besteht...

MEMI: Hältst Du den Weggang von der Klaviatur für möglich/nötig?

Peter Gorges: Ich halte ihn für möglich, aber ich würde mir nicht anmaßen, ihn für "nötig" zu erachten. Ein Keyboard ist für mich das wichtigste Eingabemedium, nur beschränken Klavierunterricht und Keyboard einen immer auf die keyboardtypischen Muster. Pit Löw beispielsweise, ein Ausnahme-Keyboarder, bindet sich zwei Finger zusammen, wenn er einfache Melodien kreieren will. Ich kenne eine Menge Musiker, die Scheißmusik mit Klavierausbildung machen, und andere, die mit Maus und Kopf wirklich Musik schaffen. Letztlich kann es sich ja jeder aussuchen, denn es gibt ja dank MIDI jede Eingabemöglichkeit der Welt zu kaufen.

MEMI: Was hast Du gegen Akkordeons und Blockflöten?

Peter Gorges: Streichhölzer. Im Ernst: Da hat sich ein überzeugt und wiederholt vorgebrachtes Vorurteil in einen Running-Gag ausgewachsen. Ich bin als Studiomusiker genau in die Zeit hineingeraten, als man vom reinen Synthesizer- bzw. Keyboard-Spieler plötzlich zum Multi-Instrumentalisten werden mußte - Drums programmieren, Slap-Bass spielen, Bläser und Streicher und so weiter - eben durch die Samplermanie der mittigen Achtziger. Und wer jemals eine Kinderliederplatte mit gesampelten Akkordeons und Blockflöten schmücken mußte, weiß, woraus der Gag entstanden ist.

MEMI: Wie sieht Dein Musikgeschmack aus?

Peter Gorges: Unqualifiziert im Gegensatz zu jemandem, der sich mehr mit Musik und nicht wie ich mit Sounds beschäftigt. Auf der einen Seite habe ich das sogenannte "Berufsgehör" - ich kann Musik leider genausowenig unvoreingenommen hören, wie ein Schreiner sich ein Ikea-Regal ansehen kann. Was meinen passiven Geschmack - also das, was ich höre, angeht - bin ich ein bißchen zwischen den Stühlen. Mein Musikgeschmack ist ganz klar noch in den Achtzigern, mein Soundgeschmack ist aber eben durch neue Produktions- und Sound-Design-Techniken verändert worden - das bringt der Job mit sich. Ich mag also besonders Musik, die beides vereint, wobei meine Priorität immer auf Sounds liegt. Um es in ein paar Klischees zu beschreiben: Zwischen Pop und Hardcore-Techno. Traditionelle EM ist kaum dabei, weil nach meiner Meinung die besten Sounds und die beste elektronische Musik nicht von EM-Musikern gemacht wird. Was beispielsweise William Orbit auf Madonnas "Ray of light"-Album gemacht hat - das aber nur pars pro toto - habe ich an Sounds, Musikalität, Arrangement und Innovation noch auf keiner "Ich will jetzt keinen Namen nennen, aber Ihr wißt schon"-Platte gehört.

MEMI: Woher rührt Deine Antipathie gegenüber der "traditionellen EM", wie sie ein Albrecht Piltz oft anpreist?

Peter Gorges: Weil das - und das ist meine persönliche, private Meinung, nicht meine professionelle Haltung dazu - zum großen Teil unglaublich kitschiger und dilettantischer Kram ist und auch etwas Ewiggestriges hat. Die klangliche Qualität der meisten Sachen ist für einen Sounddesigner wie besagtes Ikea-Regal für den Kunstschreiner. Und dann der Ey-Du-Habitus dieser Szene: Wenn ich nur an die "Rettet-Trenkler"-Kampagne oder die Glückwünsche zu Klaus Schulzes 50tem denke...
Dazu kommt, daß mein Verständnis von elektronischer Musik nichts mit EM zu tun hat. Techno beispielsweise war vor zehn Jahren die zeitgemäße elektronische Musik. Die heutigen Elektroniker machen heute a) entweder dasselbe Zeug wie vor zwanzig Jahren - nur, daß es jetzt jeder andere auch könnte, weil es keine Geldfrage mehr ist. Oder sie versuchen b) auf den Stand zu kommen, wo LFO, KLF, Yello oder andere schon 1990 lange waren. Es reicht eben nicht, in labberige Filtersweeps eine "verfremdete" Drumloop einzubauen. Ich fand Jean Michel Jarre in den Anfängen genial, und die Scheiben bestehen für mich heute noch - die haben den Zauber nicht verloren. Ich gebe sogar zu, daß ich auf Klaus Schulze oder Tangerine Dream stand, bis ich meinen ersten Synthesizer bekommen habe. Vieles verliert an Glanz, wenn man weiß, wie es gemacht wurde.

MEMI: Wie hörst Du elektronische Musik? Primär nach musikalischen Aspekten oder hörst Du auch immer die Technik heraus? Kann man als Soundbastler und Musikelektroniker Musik überhaupt hören, ohne ständig die Technik im Hinterkopf zu haben?

Peter Gorges: Ich höre immer nur die Technik heraus, und ich wüßte kaum, in welcher elektronischer Musik ich wirklich musikalische Aspekte entdecken sollte. Das ist ganz besonders ein Problem der traditionellen EM. Nimmt man dem Zeug das Gewaber weg, bleibt oft ein beschämender Rest an Barclay-James-Harvest-Anleihen übrig.

MEMI: Ist Techno schon tot?

Peter Gorges: Wieso schon? Noch!

MEMI: Ein sehr kontroverser KEYBOARDS-Wettbewerb wollte einmal die elektronische Musik des Jahres 2000 finden und kam zu keiner Preisverleihung. Hat sich seither schon etwas nennenswertes getan bzw. hast Du noch Hoffnung, dass bis in 10 Monaten noch viel passieren wird?

Peter Gorges: Keine Ahnung! Ich halte Konzepte wie die FFG-CDs eh für die bessere Variante als Wettbewerbe - da bewerten sich die Teilnehmer gegenseitig, nicht irgendwelche Leute, die von Keyboards und Technik vielleicht mehr Ahnung haben, aber nicht von Musik.

MEMI: Was sind für Dich besonders nennenswerte Acts der aktuellen Musikszene? Du kannst auch gern "Pop" und "Geheimtips" unterscheiden.

Peter Gorges: Ehrlich? Keine. Es gibt viele, von denen ich zwei, drei Titel mag, aber irgendjemand Wegweisendes kenne ich nicht.

MEMI: Die unvermeidliche Abschlußfrage: Welche drei CDs würdest Du mit auf eine einsame Insel nehmen?

Peter Gorges: Manfred Mann's Earth Band "Watch" - meine Initiation. Me'Shell Ndegeocello "Power beyond Passion". Madonna "Ray of Light"


Interview geführt von Christian Baum im Mai 1999.  
Ein Service von MEMI-Makers.
Foto 1: Dieter Stork, gelinkt von der Wizoo-Website
Foto 2: Kawai MP-9000, gelinkt von der Kawai-Website